:'ich möchte doch so gerne...'
 oder:
 die feminine emotions-guerilla

prolog:
die handlung des folgenden textes ist nicht frei erfunden. etwaige ähnlichkeiten mit lebenden personen sind zwar unbeabsichtigt, vollständige übereinstimmungen hingegen jedoch unumgänglich.

* * * * *

es ist wieder soweit:
sie möchte.

es ist ein spiel, dass seit zehntausend jahren gespielt wird, in allen kulturen, allen gesellschaften, in allen leuchtenden spektralfarben des regenbogens. und immer sind die beiden protagonisten der szene ein mann und eine frau. besser gesagt: eine frau und ein mann, da in diesem besonderen fall dem manne eine doch eher passive rolle zukommt.

das storyboard ist schnell beschrieben: sie möchte vor ihm ihren hübschen kopf durchsetzen. das ist schon alles. aus einer typisch femininen laune heraus möchte sie irgendwo irgendwann irgend etwas. und sie möchte es nicht nur, nein, sie möchte es 'soooo gerne'. und das sofort! genau jetzt! es geht im grunde gar nicht darum, was sie sich wünscht, sondern dass sie ihr ziel erreichen wird. und eins ist sicher:
sie wird es erreichen.
absolut sicher.
todsicher.

simpel, nicht wahr?

oh nein - diese szene ist alles andere als simpel, denn sie birgt die explosive urkraft etlicher tausend jahre archaischster evolution! es ist das subtilste beispiel femininer emotions-guerilla: sobald weibliches raffinement die bühne betritt, werden wünsche nicht etwa fair ausgehandelt, sondern die potentielle männliche gegenwehr mit skalpellgleichem killerinstinkt sanftlächelnd ausgeschaltet. die vernichtende durchschlagskraft eines strahlenden augenaufschlags, im richtigen moment als taktische biowaffe eingesetzt, lässt jede doppelläufige pumpgun schamesrot zu einem harmlosen kinderspielzeug degenerieren.

was, ja was passiert hier?

wie schafft es diese sanfte vertreterin des zarten geschlecht, den eisernen willen ihres gegenübers mit tänzerischer leichtigkeit ihrer flüchtigen laune zu unterwerfen, als spielte sie an einem blütenduftenden maitag mit warmem bienenwachs?
wie gelingt es ihr ohne die geringsten zeichen von anstrengung, jene maskulinen energien vom tisch zu fegen, die das feuer erfunden, kontinente fruchtbar gemacht und den mond erobert haben?
ist das zielobjekt ihrer tödlich-subtilen manipulationsbestrebungen etwa ein opelfahrender kleingärtner aus oer-erkenschwick, dessen männlichste pioniertat es war, im letztjährigen rammler-wettbewerb des kaninchenzüchtervereins westfalen-lippe einen stolzen dritten platz belegt zu haben?

im gegenteil: ihr widersacher ist mit jeder faser die inkarnation eines ganzen kerls. seine überzeugungen sind ein fels in der brandung eiszeitlicher urmeere, in ihm fliesst das blut von herrmann dem etrusker, sein urgroßvater hat in frühgeschichtlichen zeiten braunbären mit nackten händen erlegt. und ein zweig seiner stolzen familie lässt sich zurückverfolgen zu wernher freiherr von braun und weiter zu christoph columbus.

was also passiert hier wirklich?

nun, sie bedient sich eines hochsubtilen, virtuosen akts bezauberndster niederträchtigkeit, mit dem sie die seit 100.000 jahren evolutiv entwickelten hormonellen strukturen des mannes gezielt aushebelt. sie spielt mit feingliedrigen fingern auf der klaviatur seiner säuberlich angeordneten urinstinkte und
-reflexe, die ihn im laufe der jahrtausende zum retter, ritter, helfer, verehrer, tröster, beschützer, bewunderer, versorger, bärentöter und raketentriebwerkerfinder werden liessen.
sie rebootet mit einer einzigen kleinen geste seine elementarsten emotionalen grundbedürfnisse.
sie formatiert seine stammhirnrinde.
sie tötet seinen stolz mit der chirurgischen präzision einer ringelnatter - und er liebt sie dafür.
verrückt, nicht wahr?

nehmen Sie sich also einen bequemen sessel, setzen Sie sich neben mich, machen Sie es sich richtig bequem - und dann lassen Sie uns diesen liebreizenden supergau femininer mikrochirurgie in seiner ganzen seifenblasenbunten vierdimensionalität erleben:

* * * * *

sie - mit schmachtendem blick von schräg unten, die dunklen rehaugen strahlend aufgerissen, wobei die rechte augenbraue in dramatisch-leidenden schwung gelegt und die handflächen zu einem klassizistischen standbild der johanna von orleans sanft aneinandergelegt werden:

"duhuu, ich möchte soooo gern..."

er - erwartungsstarr, körpertemperatur senkt sich auf 32°, leicht paralysierter blick eines kaninchens, das die heranzüngelnde schlange erblickt:

".....?"


sie - strahlender gloriolenglanz im seidig fallenden haar, den kopf die entscheidenden bruchteile von millimetern schräger legend, ganz leicht auf die zehenspitzen erhebend, die vollen lippen zum schönsten kußmund geschürzt, dabei gleichzeitig das kinn einen millimeter weiter zu ihm empor reckend, mit einem einzigen vollendeten wimpernschlag aus glänzenden augen, flüsternd:

"...so so so so gern..."


er - das unausweichliche ahnend, die physikalische körpertemperatur auf 40,7° hebend, puls stabil bei 230, trockener mund, brennende lippen, vor dem geistigen auge einen angreifenden braunbären aus der gemeinsamen höhle jagend:

(denkt) "...oh m-mein gott...!?!"

sie - die handflächen voneinander lösend, ihre hände in der geste einer erahnten, leidenschaftlichen umarmung zu ihm emporstreckend, wobei ihr nackter unterarm für den bruchteil einer sekunde seinen oberarm (alternativ: seine brust) streift, die lieder leicht gesenkt, mit friedvoll-feuchtem blick ins unendliche nichts hauchend:

"...unglaublich gern ..."


er - die physikalische oberflächenspannung seiner haut erreicht 2.350 volt drehstrom, sein puls bleibt stabil bei 880, das kribbeln von 12.000 paraguayanischen ameisenstämmen erstreckt sich von der halswirbelsäule bis in die kleine zehe, sein stammhirn sitzt auf der dreifach-looping-achterbahn der cranger kirmes, die synapsen produzieren alle 0.3msec elektroschocks, die eine mittlere kleinstadt mit strom versorgen könnten, der gaumen ist trockener als die wüste gobi und die zungenoberfläche weist frappierende ähnlichkeit mit 40er-schleifpapier von OBI auf:

(denkt... versucht zu denken... versucht gar nicht mehr erst, zu denken)
"...verflucht - kann mal jemand die europäische kontinentalscholle unter meinen füssen fixieren?"


sie - in mittlerweile lebensbedrohlich nahem körperkontakt, die anschmiegsamkeit ihrer angedeuteten gestik gleicht einem bad in warmem wildblütenhonig, der übersinnliche glanz ihrer lippen degradiert jeden sonnenuntergang im bekannten universum zur ästhetischen qualität einer 2-euro-baumarkttaschenlampe, der zartbrüchige hauch ihrer stimme verwandelt reine batteriesäure im umkreis von 480km zu goldflüssigem met:

"tu doch der kleinen, süssen maus den gefallen..."


er - hyperventilierend, puls leicht instabil zwischen 18.330 bis 24.800 schwankend, die rotationsgeschwindigkeit der kleinhirnrinde erreicht 1,6883 x 10 hoch 24 u/min., das rückenmark besteht aus 180%igem lysergsäure-diäthylamid, das biologische vergleichsalter seiner körperzellen erreicht werte zwischen 12 und 298.733 jahren, im stammhirn hat irgend jemand die osterglocken des großen tors von kiew aufgehängt, die von einem intergalaktischen dampfhammer angeschlagen werden, im vorgarten des nachbarn landen die ufos:

.......*burnout*.........



an dieser stelle müssen wir die szenerie kurz verlassen und unsere clubsessel etwas zur seite rücken, um die drei notarztwagen und die sanitäter mit dem sauerstoffzelt vorbei zu lassen. schliesslich wollen wir sie ja nicht unnötig in ihren (a priori zum scheitern verurteilten) äusserst diffizilen reanimationsbemühungen behindern.

* * * * *

nun ja, wie gesagt: heute abend war es wieder mal so weit...

ich habe gestern die wundervolle julie delpy in dem wundervollen film 'before sunset' gesehen:
die hinterhöfe von paris.
die nachmittagssonne am seine-ufer.
die ile de la cité, pont neuf, nachdenklich-leichte lebensphilosophie und grand crème im lebendig-antiquarischen ambiente eines zeitlosen straßencafés.
die sehnsüchtige erinnerung an eine einzige erfüllte nacht großer leidenschaft dringt leise und zerbrechlich durch den feuchten nebel der alltagsdefizite eines einsam verstrichenen jahrzehnts...

bis heute abend wusste ich:
dieser film ist wirklich großes kino!

bis heute.
bis vorhin.
doch dann war es wieder soweit...

 

 

 

     
   
 

 

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